Präsident International Federation of Landscape Architects (IFLA)
„HÖRT AUF ZU PREDIGEN – UND WERDET ZUM VORBILD“
Diese Frage bekomme ich oft gestellt – selbst von unseren eigenen Mitgliedern. Die IFLA ist ein globaler Fachverband. Unsere Organisation wurde 1948 gegründet und vertritt heute rund 80 Länder mit mehr als 100.000 Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten weltweit. Dieser Beruf hat sich über die Jahre erheblich verändert – und wird dies auch weiterhin tun. Sein Status variiert von Land zu Land stark. In manchen Ländern ist er ein streng reglementierter Beruf. In anderen steckt er noch in den Kinderschuhen. Es gibt Länder, in denen wenig bis gar kein Verständnis dafür herrscht, was Landschaftsarchitektur überhaupt ist. Deshalb besteht unsere Arbeit auch viel aus Fürsprache und Aufklärung. Eine weit verbreitete Fehlannahme – die über viele Kulturen hinweg besteht – ist, dass wir nur Gärtner oder Landschaftsgärtner sind. In Wahrheit geht es bei der Landschaftsarchitektur aber um einige der größten Herausforderungen, denen die Menschheit gegenübersteht: Biodiversität, Schaffung von Klimaresilienz, Lebensmittelsicherheit und kinderfreundliche Städte, Umgang mit Hochwasser in Städten sowie alternde Gesellschaften. Wir arbeiten an der Schnittstelle zwischen Ökologie, Design, Planung und Politik. Für ein einzelnes Berufsfeld eine ganz schöne Breite, aber das ergibt komplett Sinn. Alles passiert in einer Landschaft. Nichts kreist einfach im Orbit herum. Das Leben findet auf lebenden Systemen statt: unserer Umwelt.
Ein Teil unserer Mission ist deshalb, unser Bewusstsein dafür zu schärfen. Dazu gehört Arbeit mit den Vereinten Nationen. Wir zeigen auf, was Landschaftsarchitektur leisten kann – indem wir erfolgreiche Strategien und Beispiele aus dem echten Leben präsentieren. Unsere Hoffnung ist, dass, wenn wir Denkweisen auf der UN-Ebene beeinflussen können, sich dieses Denken irgendwann in den nationalen Gesetzgebungen und der lokalen Praxis widerspiegeln wird.
Sie haben Ihre Arbeit mit der UN erwähnt. Wie sieht dieses Engagement in der Praxis aus?
In den letzten Jahren habe ich eng mit verschiedenen UN-Organen zusammengearbeitet. Die Herausforderung ist folgende: Landschaftsarchitektur ist ein unglaublich weites Feld. Das heißt, wir müssen uns bei verschiedenen UN-Abteilungen engagieren – manchmal bei sieben oder acht auf einmal. Wir haben unsere Arbeit mit UN-Habitat angefangen, das sich auf die städtische Entwicklung konzentriert. Diese Organisation ist sehr handlungsorientiert, sodass wir früh einige Fortschritte erzielen konnten. Wir arbeiten auch mit dem Programm UN-Environment zusammen. Hier ist das Engagement komplexer, aber genauso wichtig. Die UN gibt uns eine Plattform, auf der wir uns für unseren Beruf einsetzen können – vor allem dort, wo noch Bedarf an Unterstützung, Bildungsarbeit und formaler Anerkennung besteht. Der Raum, den die UN bietet, hilft uns dabei, Kapazitäten aufzubauen, sowohl durch Bildungsarbeit als auch durch berufliche Weiterentwicklung. Denn wer nicht mit am Tisch sitzt, wird nicht berücksichtigt. Wenn wir nicht dabei sind, weiß niemand, was wir zu bieten haben.
Wie hängt das Konzept naturbasierter Lösungen mit Ihrer Arbeit zusammen?
In Europa wird gern von „grüner und blauer Infrastruktur“ gesprochen – hier gibt es grüne Bereiche, dort blaue. Naturbasierte Lösungen sind aber viel ganzheitlicher. Sie stellen die Natur in den Vordergrund – nicht als Beigabe, sondern als Grundlage. Eines der beeindruckendsten Beispiele dafür habe ich in China gesehen. Ich habe das Land vor zwölf Jahren und dann noch einmal vor zwei Jahren besucht. Der Unterschied war gar nicht in Worte zu fassen. China steht vor unglaublichen Herausforderungen – Umweltverschmutzung, Überbevölkerung, verstopfte Städte. Und die Antwort der Chinesen darauf war, die Natur zur obersten Priorität zu machen. Nehmen wir beispielsweise Guangzhou. Das ist eine Megametropole mit 25 Millionen Einwohnern. In nur zehn Jahren haben sie sechs massive grüne und blaue Korridore geschaffen – jeder so groß wie Hannover –, indem sie Sümpfe, Wälder und Flüsse renaturiert und die Infrastruktur so neuentwickelt haben, dass sie Luftbewegung ermöglicht. Und sie haben Gebäude erhöht. Sie haben nicht nur von Natur geredet, sondern gleich etwas geleistet. Das ist der Schlüssel: Hört auf zu predigen und werdet zum Vorbild. Wir brauchen mehr solcher integrierter Beispiele im großen Maßstab – wo die Natur den Prozess wirklich bestimmt.
Sie haben viele Jahre lang in Neuseeland gelebt und gearbeitet. Was kann die Welt von indigenem Wissen über Landschaft lernen?
Extrem viel. Mich hat die Arbeit mit Māori-Gemeinschaften tief geprägt. Die Māori betrachten die Natur mit einer tiefen Verbundenheit. Sie versuchen nicht, die Natur zu verändern – sie leben mit ihr und als Teil von ihr. In unserer westlichen Sichtweise wollen wir die Natur meistens beherrschen und ausbeuten – und sind dann überrascht, wenn sie sich wehrt. Die Māori sehen die Landschaft als Teil ihrer Identität. Sie sagen Dinge wie: „Ich gehöre zu diesem Berg“, oder: „Ich bin ein Teil dieses Flusses“. Und das ist nicht symbolisch gemeint – es ist tief im realen Leben verwurzelt. Die Landschaft definiert, wer sie sind. Sie trennen nicht zwischen Physik, Spiritualität, Psychologie und Gemeinschaft – es ist alles ein System. Wenn ein Teil davon aus dem Gleichgewicht gerät, dann ist alles andere auch betroffen.
Selbst Hochwasser wird anders betrachtet. Im Westen ist das immer ein Problem. Für die Māori dagegen ist es ein Segen – ein Weg, das Land zu regenerieren. Dieselbe Ansicht gab es schon im alten Ägypten. Die Nilschwemmen wurden genutzt, um den Boden zu erneuern. Was mich am meisten bewegt hat: Nach einer erfolgreichen Klage gegen die Regierung hat ein Māori-Stamm einen finanziellen Ausgleich erhalten. Und was haben sie mit dem Geld gemacht? Sie haben Feuchtgebiete und heimische Wälder renaturiert. Sie hätten sich ja Häuser oder Autos kaufen können – stattdessen haben sie entschieden, das Land zu heilen. Weil sie verstanden haben: Wenn das Land gesund ist, sind wir gesund.
Wie kann man dieses Wissen in hochurbanisierten westlichen Kontexten anwenden?
Erst einmal müssen wir unseren Ansatz überdenken. In der Architektur liegt der Fokus oft auf dem Objekt – dem Gebäude – und nicht auf dem Kontext. Deshalb könnte man die Skylines von Singapur und Montreal fast verwechseln, obwohl sie in komplett verschiedenen Klimaregionen angesiedelt sind. Die Landschaftsarchitektur denkt genau umgekehrt. Sie ist immer kontextspezifisch. Wir arbeiten mit dem Boden, dem Klima, der Kultur, den Pflanzen, den Menschen vor Ort. Wir müssen aufhören, generische Lösungen in die ganze Welt zu exportieren. Stattdessen müssen wir die Landschaft lesen – lernen, was jeden Ort einzigartig macht. Warum sollten wir Marmor aus der Türkei nach Neuseeland exportieren, wenn es dort wunderschöne Steine gibt? Indigenes Wissen erinnert uns daran zu fragen: Was gehört hier hin? Was funktioniert hier? Und das gilt nicht nur global – sondern auch lokal. Man kann nicht Hamburg und München vergleichen. Oder Auckland und Christchurch. Jeder Ort ist anders.
Und dann gibt es noch einen Aspekt: Die Baubranche ist einer der größten Verschmutzer des Planeten. Selbst wenn man lokale Materialien verwendet, hat ein Neubau immer einen Fußabdruck. Wir sollten uns stattdessen auf Upcycling und Wiederverwenden dessen konzentrieren, was wir schon haben.
Lassen Sie uns mit einem hoffnungsvollen Ausblick enden: Was macht Sie optimistisch für die Zukunft – die des Planeten und die Ihres Berufes?
Was mir Hoffnung gibt, ist: Um unseren Planeten und uns selbst zu retten, brauchen wir Landschaften – und Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten. Daran führt kein Weg vorbei. Unser Beruf ist wichtig, und ich glaube, wir werden eine zentrale Rolle dabei spielen, eine lebensfähige Zukunft zu gestalten. Ich glaube auch, dass wir in den kommenden Jahren Städte haben werden, die Landschaften an vorderste Stelle stellen – Städte, die Menschen jeden Alters, aller Hintergründe und aller Bedürfnisse in ethisch und ökologisch soliden Räumen beherbergen.
Trotzdem ist die aktuelle Lage ernst. Jetzt ist aber nicht die Zeit für Spaltung. Wir haben nur diesen einen Planeten. Es gibt keine zweite Erde für andere politische Parteien oder Ideologien. Wenn wir nicht tätig werden, sind nicht wir vom größten Leid betroffen – sondern unsere Kinder und Enkel. Und die haben schon jetzt Angst. Sie sehen einer ungewissen Zukunft entgegen. Also lasst es uns ernsthaft angehen. Lasst uns aufhören, immer nur zu wiederholen, was wir schon wissen. Lasst uns Lösungen verbreiten, die bereits funktionieren. Lasst uns der Landschaft den Platz geben, den sie verdient – und das ist kein nachrangiger Gedanke, sondern die Grundlage für alles, was wir bauen.
BIOGRAFIE
Dr. Bruno Marques ist Landschaftsarchitekt und Pädagoge. Nach dem Studium in Lissabon (Portugal), Berlin (Deutschland) und Otago (Neuseeland) war Dr. Marques in Deutschland, Estland, dem Vereinigten Königreich und Neuseeland mit einem großen Portfolio an Projekten tätig. Die vergangenen elf Jahre hat er an der Victoria University of Wellington in Neuseeland eine Forschungsagenda zur Landschaftsrehabilitation, dem kulturellem Erbe und dem Wohl der indigenen Völker geprägt. Er ist aktuell stellvertretender Dekan der Fakultät für Architektur und Designinnovation und Präsident der International Federation of Landscape Architects (IFLA).