DnD Landschaftsplanung ZT GmbH, Wien
ORTE ENTSIEGELN: WIE EHEMALIGE VERKEHRSPLÄTZE ZU ZUKUNFTSFÄHIGEN GRÜNOASEN WERDEN
Während die Sommer heißer und trockener werden und die Regenereignisse unregelmäßiger, bekommen Planende immer deutlichere Handlungsaufforderungen zu spüren – in ländlichen Gemeinden ebenso wie in urbanen Zentren. Versiegelte Plätze und fehlende Begrünung sind zu fühlbaren Problemzonen geworden. Entsiegelung ist das Gebot der Stunde.
WARUM ENTSIEGELN?
Entsiegelung verbessert den Wasserhaushalt durch Versickerung und die langfristige Speicherung von Regenwasser, sie fördert die Biodiversität und verbessert die Bodengesundheit. Hitzeinseln werden gekühlt und die wachsenden Bäume speichern CO2. Auch die weitere Umgebung profitiert von entsiegelten Plätzen: Die grünen Orte laden zum Verweilen ein, erhöhen die Lebensqualität im gesamten Quartier und stärken das Stadtgefüge.
NEUE FREIHEIT FÜR DEN BODEN
Entsiegelung bedeutet, den Boden wasserdurchlässig zu machen. Dabei werden versiegelte, also wasser- und luftundurchlässige Oberflächen aufgebrochen und durch versickerungsoffene Materialien ersetzt. Grünflächen, Kies, wassergebundene Decken oder Pflasterungen mit begrünten Fugen – sie ermöglichen Versickerung und fördern ein nachhaltiges Regenwassermanagement. Die Möglichkeiten der Materialwahl sind vielfältig und schließen auch die Befahrbarkeit nicht aus. In der Planung wird dabei zwischen voll versickerungsfähigen und versickerungsoffenen Oberflächen unterschieden.
Voll versickerungsfähige Oberflächen sind Grünflächen auf natürlichem Boden oder auch Kiesflächen. Hier kann Wasser natürlich versickern. Dieses wird vom Boden aufgenommen und kann verdunsten oder über die Bodenschichten ins Grundwasser abfließen.
Versickerungsoffene Oberflächen finden sich oft auf stark genutzten Flächen. Hier werden begeh- und befahrbare Beläge verlegt, die durch ihre Fugenbreite trotzdem Regenwasser aufnehmen und in den darunterliegenden Schichten speichern können. Wird unter diesen Oberflächen auch eine Schwammstadtverbaut, kann das Regenwasser in diese Speicherkörper versickern und bleibt dort für die Bäume lange verfügbar.
Entsiegelung nützt Boden, Wasserhaushalt und Klima – und steigert die Lebensqualität vor Ort. Mit kombinierten Maßnahmen werden Parkplätze zu biodiversen Parks, Asphaltwüsten zu hochwertigen Aufenthaltsorten.
BEISPIEL TULLN: VOM PARKPLATZ ZUM PARK
Am Nibelungenplatz im österreichischen Tulln ist das gelungen. Die Stadtgemeinde mit rund 17.000 Einwohnern liegt nicht weit von der Bundeshauptstadt Wien entfernt, und ist aufgrund der Vielzahl an Gärtnereien als Gartenstadt bekannt. Hier wurde ein rund 8.000 m2 großer Parkplatz vor dem Tullner Rathaus zu einem grünen Park und Mehrzweckplatz umgestaltet. Damit stärkte die Stadt ihr Image als Gartenstadt und reagierte zugleich auf die Bedürfnisse der Bevölkerung. Bei der Gestaltung des Nibelungenplatzes war die Bevölkerung von Anfang an eingebunden. 2021 startete ein öffentlicher Beteiligungsprozess, inklusive Abstimmung in der Bevölkerung. 2022 folgten die Wettbewerbsphase und die Gestaltung auf Basis der Ergebnisse aus dem Beteiligungsprozess. Von Mai 2023 bis Juni 2024 wurde schließlich gebaut.
Der Nibelungenplatz liegt zwischen Aupromenade an der Donau und dem örtlichen Rathaus, das sich im ehemaligen Minoritenkloster befindet. Ein Teil des Platzes blieb befahrbar und dient nach wie vor als Parkplatz, er wurde allerdings begrünt und mit einer versickerungsoffenen Pflasterung befestigt. Richtung Donau verbindet nun eine offene Parklandschaft das ehemalige Klostergebäude mit dem Uferstreifen. Achtunddreißig neue Bäume und die großzügige Entsiegelung sorgten für enormes Medienecho. Die Zeitungen schrieben vom „Wunder von Tulln“, von sprießendem Grün auf dem ehemaligen Parkplatz. Diese Berichterstattung und die positive Resonanz innerhalb der Bevölkerung beweisen die Notwendigkeit von Projekten wie diesem.
ST. PÖLTEN: EIN RING WIRD GRÜN
In St. Pölten, der niederösterreichischen Hauptstadt mit rund 50.000 Einwohnern, entsteht gerade ein anderes Pionierprojekt, das in Österreich und international zur Nachahmung anregt. Der Promenadenring, der die St. Pöltner Altstadt umfasst, war bisher ausschließlich dem Kfz-Verkehr vorbehalten. Nun entsteht auf seinen 2,3 Kilometern Länge ein multifunktionales Fuß- und Radwegenetz mit beschatteten Spiel- und Rastplätzen, Gastronomiezonen und konsumfreien Aufenthaltsorten. Das stärkt das Stadtgefüge und gibt der Stadt eine neue, moderne Identität.
Die neuen Bäume werden zudem in großzügigen Schwammstadtkörpern gepflanzt, welche den Bäumen ausreichend Wurzelraum bereitstellen und Regenwasser auffangen. Auch am Promenadenring stammen die wesentlichen Gestaltungskriterien aus einem Beteiligungsverfahren: Für die Umgestaltung sammelte die Stadt zwei Jahre lang Ideen und Bedenken der Bevölkerung. Die Umsetzung erfolgt nun schrittweise, damit sich die Stadtbevölkerung an die neuen Abschnitte gewöhnen kann. Der erste Bauabschnitt im südlichen Bereich war im Sommer 2024 abgeschlossen und brachte bereits zahlreiche positive Rückmeldungen. In den kommenden Jahren werden die Arbeiten am westlichen und östlichen Teil des Rings beginnen.
DIE SCHWAMMSTADT IN DER PRAXIS
Die Schwammstadt sorgt durch den speziellen, großräumigen Substrataufbau im Untergrund für mehr Platz zum Wurzeln. Darüber wird ein versickerungsoffener, aber begeh- und befahrbarer Belag verlegt, durch den Wasser in den Schwammstadtkörper gelangt und für die Bäume dort verfügbar ist. In Tulln befinden sich elf der 38 Neupflanzungen an solchen Stellen mit erhöhtem Nutzungsdruck, also auf Parkplätzen oder Mehrzweckflächen, die oft befahren werden. Diese Bäume wurden in unterirdischen Schwammstadtkörpern gepflanzt. Bäume in Grünflächen oder großen Beeten benötigen diese Unterstützung nicht.
Als Teil des integrierten Regenwassermanagements bewiesen sich die unterirdischen Wasserspeicher in Tulln und St. Pölten bereits im Herbst 2024 als extrem wirkungsvoll, als tagelange Regenfälle in der Region an vielen Orten ein Jahrhunderthochwasser nach sich zogen und sowohl der neue Nibelungenplatz als auch der fertiggestellte Abschnitt des Promenadenringes den Starkregen problemlos überstanden haben. In St. Pölten fielen laut dem österreichischen nationalen Wetter- und Klimadienst, der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG), 447 mm Niederschlag in nur wenigen Tagen. Das ist rund die Hälfte des jährlichen Niederschlagsmittels. Am Promenadenring konnte diese enorme Wassermenge vollständig versickern und entlastete damit die Kanalisation maßgeblich. Angesichts zukunftsfitter Stadtplanung und Klimaanpassung von Gemeinden wird dieses Projekt zurecht als pionierhaft bezeichnet. Es zeigt beispielhaft, wie klimagerechte Stadtplanung auch im kleinen Maßstab große Wirkung entfalten kann und liefert praxisnahe Erkenntnisse für Städte und Gemeinden weltweit, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen.
BIOGRAFIE
Sabine Dessovic ist Landschaftsarchitektin, Stadtplanerin und Mitgründerin des Büros DnD Landschaftsplanung in Wien. Ihre Projekte verbinden gestalterischen Anspruch mit ökologischer Resilienz. Sie ist Mitglied in mehreren Fachjurys und Stadtentwicklungskommissionen und arbeitet an partizipativen Planungsprozessen.